1998-2000, Installation, 1-30 fotografische Objekte, Analogfotografie, Bromsilberemulsion, Baufolien, 280 cm x 200 cm
Darf ich vorstellen? Das sind Regula und Dimitri. Und hier sind,
ausgewählt aus insgesamt 30 Porträts, Matthias, Fabienne, Ferhat, Renate und Nora. Alle sind zwischen 16- und 20-jährig. Noch nicht erwachsen. In einem Zwischenraum des Lebens. Die Züge ausgeprägt und doch noch wandelbar. Offen für eine noch unbestimmte Zukunft, aber schon mit bestimmten Bildern von sich selbst.
Dieses Dawischen-Sein hat die Neugierde des Fotografen geweckt. Und er versetzt mit diesem Inter-Esse – was nichts anderes heisst als: Dazwischen - Sein – den Betrachter oder die Betrachterin ganz konkret in Zwischen-Räume: Man bewegt sich zwischen Regula und Dimitri, zwischen diesen grossen Köpfen, schaut und wird angeschaut. Dimitri und Regula sind da, absolut präsent. Wer sie kennt, wird diese ungeheure Gegenwart der frontal aufgenommenen Gesichter sehen. Der Fotograf hat offensichtlich darauf geachtet, dass alle, die doch so verschieden sind, auf die gleich weide in die Kamera schauen: frontal eben, wie das Erkennungsbild, das die Polizei
macht, unbewegt, wie das die Kriminalistik für Fahndungsbilder vorschreibt. Und wenn es denn um Kriminalistik ginge: Hier ist es eine, die sich nicht denunzierend verhält, sondern sich vertieft in die Gesichtszüge der Porträtierten.
Handelt es sich um Porträts? Auch hier ein Zwischen-Raum: Es spielt an
sich keine Rolle, ob es Regula oder Dimitri ist, es spielt keine Rolle, wessen Abbild hier hängt. Ich muss nicht wissen, wer das ist, den oder die der Fotograf abgelichtet hat. Er hat die Portraits mit seiner Inszenierung so in den Raum, so ins Licht gesetzt , dass sie sich ohnehin wieder
im Licht auflösen – zwischen der Fixierung und dem Entschwinden schwankend, je nach Licht. Gerade das ist ein Raum, den die Fotografie, Momente fixierend, sonst eher meidet. Sie will das Hier und Jetzt. Das ist hier und jetzt, in dieser Raumsituation zwar auch da, aber es entzieht sich, wie sich ein lebendiges Individuum in jedem Moment auch stets wieder entzieht – Ich ist in jedem Fall ein Anderer. Der Blick des Betrachters schwankt zwischen diesen immer Anderen hin und her, das Innehalten und Vertiefen, das Fixieren, welches das Porträt traditionellerweise fordert, wird immer wieder unterlaufen.
Andreas Greber versteht es, das fotografische Moment des Fixierens
zu unterlaufen. Seine Objekte – aber er behandelt die Jugendlichen trotz aller formaler Stringenz nicht als solche – entziehen sich der Bestimmung. Das hat mit seiner technischen Experimentierfreude, aber auch mit seinem Verständnis der Fotografie zu tun: die Materialien, die er wählt – in diesem Fall billige Baufolie, in einem anderen krudes Verputzmaterial – zerstreuen sozusagen das Licht; die Emulsion auf der Folie wirkt wie ein plastischer Punkt oder ein glänzender Tautropfen. Wobei die Bilder eben durch dieses Diffundieren, Weg- und Abweisen ihre Präzision erhalten. Das ist die Genauigkeit des bestimmten Unbestimmten, die irrlichternde Belichtung gewisser Momente.
Diese Bilder entziehen sich. Sie, selbst Licht-Bilder, verschwinden im
Licht, die Konturen verschwimmen und scheinen wieder auf. Gerade dadurch unterscheiden sie sich von den formal vergleichbaren Kopf-Bildern von Franz Gertsch oder Thomas Ruff. Was die grossen Meister des zeitgenössischen Portraits durch Vertiefung und Intensität schaffen, schafft Andreas Greber durch den Entzug: jene Präsenz herzustellen, die erst die Wahrnehmung intensivieren. Ist das Bildnis im Moment des Entzugs fast wie abwesend, so holt die Ballung der fotografischen Materie den Blick gleich wieder zurück: Es sind die Augen, die Augen, jene Fenster zur Seele – Albrecht Dürer malte in den Augen die Fenster – die nicht loslassen. Sie zentrieren nicht nur das einzelne Folienbild, sondern die ganze Folieninstallation. Hier beginnt sich das Unbewegliche – was Fotografie nicht umgehen, aber offensichtlich hintergehen kann – in Bewegung
zu setzen. Der Entzug wird zum Bezug. Blick zu Blick.
Ich muss Regula und Dimitri in die Augen sehen, selbst wenn sie
durchsichtig sind. Dem kann ich mich nicht entziehen. Und dann entgehe ich diesen Gesichtszügen nicht mehr, die zuerst so verschieden, dann typenartig – “jugendlich”, “schön”, “interessant” – geworden sind. In der Auflösung der Individualität, die durch die Installation, die Grösse der Porträts bewirkt wird, in diesem Prozess des sehens entsteht eine ungeheure Nähe. Man möchte mit allen diesen Menschen sprechen, weil sie plötzlich – und das ist das fotografische Moment – so offensichtlich nahe sind. Genau in diesem Augenblick.
Auch wenn Regula und Dimitri auf billigem Material erscheinen: In diesen
Bildern scheinen sie unverwechselbar auf. Sie verwandeln sich, das Wort sei
gestattet, in das, was jedes Individuum in seiner Wechselhaftigkeit ist: In etwas Unverwechselbares. Und die Kunst von Andreas Greber ist es, den Blick fast unerbittlich darauf zu lenken – ohne Pose, ohne Manierismus. Frontal.
Konrad Tobler 2000
Andreas Greber Galerie im Amtshimmel Baden 2000
Der in Bern lebende Zürcher Fotograf Andreas Greber (geb. 1955) zeigt im Amtshimmel in Baden Foto-Objekte. Dabei geht es um die Verbindung von medialem Experiment und inhaltlichem Ausdruck.
In seiner ersten Ausstellung im Aargau zeigt der als freischaffender Künstler sowie als Dozent an der Fachhochschule für Gestaltung in Biel Tätige zwei Werkgruppen: Körnig strukturierte Wandreliefs und frei in den Raum gehängte Bauplastikfolien, die in ganz unterschiedlicher Art und Weise mit Fotografie beschichtet sind. Hier wie dort geht es um die materielle und die visionäre Einheit der fotochemischen Schicht, des Trägermaterials und der visuellen Aussage.
Beide Werkgruppen ziehen den Blick gleichermassen auf sich. Emotional herausfordernder sind jedoch die transparenten Porträts von Mädchen und Burschen im Alter von 15 bis 20 Jahren. Die Art der frontalen Aufnahme in überlebensgrosser Präsentationsform weckt auf den ersten Blick Assoziationen zu Arbeiten von Franz Gertsch und Thomas Ruff, doch der zweite Blick zeigt, dass er dem Thema Wesentliches hinzufügt. Und dieses Andere hat seine Basis ganz primär in der Applikation der Fotografie auf den Träger “Bauplastik” – etwas, das technisch eigentlich nicht möglich ist. Doch der Künstler hat ein aufwendiges Verfahren entwickelt, das es ihm erlaubt, sein Ziel zu erreichen. Schon am Aufwand lässt sich erkennen, wie wichtig ihm das Material ist – das Hautartige und die weitgehende (aber nicht gänzliche) Transparenz des Plastik, das Temporäre seiner Verwendung als Schutz von Gebäuden im Umbau, oft Wind und Wetter ausgesetzt.
Die in der Vergrösserung eindrücklichen Gesichter – die Mädchen und Burschen präsentieren sich auf den Plastikfolien zugleich als Zeugnisse jugendlicher Schönheit wie als äusserst fragile Erscheinungen. Ganz bewusst hat Andreas Greber Jugendliche im “Zwischenraum” von Kindheit und Erwachsensein porträtiert, die Zeit, da alles offen, aber auch nichts greifbar ist. Fast alle Modelle kamen aus dem Bernbiet zur Vernissage angereist – verschämt und zugleich ungemein stolz betrachteten sie sich selbst als Kunstwerke.
Die Transparenz des Plastik bringt es mit sich, dass die Gesichter doppelseitig sind. Hat man den Raum mit den gestaffelt gehängten Folien durchschritten und dreht sich um, sieht man die Gesichter noch einmal, wenn auch weniger deutlich. Der Eindruck der Kehrseite ist nicht weniger stark, denn nun fühlt man sich plötzlich hinter den Gesichtern, da wo sich die Schwierigkeit des dritten Lebensschrittes (Rudolf Steiner teilt das Menschenalter in Kapitel von je sieben Jahren) nicht übertünchen lässt. Wenn auch die räumlichen Verhältnisse der städtischen Galerie im Amtshimmel nicht optimal sind für Andreas Grebers Installation, so überzeugt sie doch als künstlerisch-fotografische Arbeit an sich.
Die Strukturtafeln sind wesentlich abstrakter. Sie zeigen über die Verwendung von Fotoemulsion die Licht- und Schattenverhältnisse mit Verputz beschichteter Holztafeln. Überraschend sind dabei die zum Ornamentalen tendierende Hell-Dunkel-Strukturen.
Annelise Zwez in Aargauer Zeitung März 2000
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